Fassungslos

Nach dem für mich unglaublichen Ausscheiden Kroatiens gestern im Viertelfinale gegen die Türkei starte ich den Versuch, meiner Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen und eine objektive Analyse des ganzen Dramas zu machen, um mit mir und dieser für uns zu früh zu Ende gegangenen EURO 2008 ins Reine zu kommen. Sprich: ich schreibe mir den Frust von der Seele.

Was war geschehen?

Nach unspektakulären 118 Minuten mediokren Fußballs kam plötzlich alles Schlag auf Schlag. Nach einem Tor Klasnićs in der 119. Minute stand Kroatien (sowohl das Land als auch die Mannschaft) kurz vor dem kollektiven Glückskollaps. Halbfinale gegen Deutschland tönte es vom kroatischen Moderator in den Sekunden nach dem Tor. Ich war selbst noch halb im Glückstaumel als plötzlich der Ball im Tor der Kroaten liegt. Wie? Was? Bitte?! Das gibt es doch nicht… Ausgleichstreffer in der 122. Minute, wenige Sekunden vor Abpfiff. Wie konnte das passieren? Dass nach solch einer demoralisierenden Aktion Modrić und Rakitić das Tor im anschließenden Elfmeterschießen nicht treffen, war fast abzusehen. Glückwunsch an dieser Stelle an die Türkei! Wer in drei Spielen den Sieg in den letzten Minuten (hier waren es Sekunden) herauskämpft, hat es verdient, weiterzukommen. Auch wenn ich finde, dass Kroatien, wenn auch in diesem letzten Spiel nicht gänzlich überzeugend, den technisch besseren Fußball gezeigt hatte.

Wer ist schuld?

Diese Frage wird natürlich nach solch einem Debakel von vielen Seiten diskutiert werden. Die Suche nach einem Sündenbock dauert oft nicht lange. Doch gibt es hier einen Schuldigen? Fakt ist, dass Kroatien eine überragende Qualifikation hinter sich gebracht hat und die Mannschaft mit drei Siegen erste der Gruppe B wurde und somit das Ziel „Viertelfinale“ bestmöglich erreicht hat. Dass es hier schon zu Ende ist, war zwar unerwartet, jedoch nicht ganz unvorhersehbar. Größtes Manko unserer Mannschaft ist die schlechte Chancenverwertung. Auch wenn ich Olićs Ausdauer bewundere und er jedem Ball hechelnd hinterher zu rennen scheint, muss ich kleine Kritik am schlechten Sturmduo Olić-Kranjčar üben. Zu viele Chancen, oft vom überragenden Modrić herausgespielt, wurden hier nicht genutzt und haben sich im Endeffekt gerächt. Hier auch Kompliment an den türkischen Trainer, der seine Mannschaft optimal ausgerichtet hat und oftmals die wichtigen Impulse aus dem Mittelfeld durch Modrić und Rakitić unterbinden konnte. Wäre ein Tor in der regulären Zeit gefallen, wäre das ganze geritzt gewesen. So aber mussten etwas frustrierte und nach und nach erschöpftere Kroaten in die Verlängerung.

Zweites Manko ist die kroatische Mentalität in kritischen Augenblicken. Das Tor fiel in der 119. Minute! Es gilt, nur noch wenige Minuten kühlen Kopf zu bewahren und das ganze ist durch! Aber was macht die Mannschaft? Sie jubelt, als hätte sie schon das Finale gewonnen, etwas zu lange in meinen Augen, verliert die Konzentration. Klar ist man überwältigt in dem Augenblick, insbesondere, da das Tor durch Klasnić gefallen war, der, nach schlimmer Zeit während seiner zweifachen Nierentransplantation, ein grandioses Comeback feiern konnte. Hätte Kroatien gewonnen, wäre Klasnić zum Helden einer Nation geworden und hätte durch dieses wichtigste Tor in seiner Karriere Geschichte geschrieben. Anstatt nun in den folgenden wenigen Minuten bis Sekunden kühl den Ball zu halten und durch intelligentes Passspiel das Ergebnis zu wahren, schießt jemand den Ball nach vorne, wo gleich drei Kroaten im Abseits stehen. Freistoß Türkei in der eigenen Hälfte. Der Ball ist ja noch weit weg! Wer hätte jedoch gedacht, dass Rüstü diesen superschnell nach vorne kickt, er unglücklich vor den Beinen Sentürks landet und dieser dann mit einem absoluten Sonntagsschuß das Schicksal Kroatiens besiegelt? Niemand, fürchte ich. Doch haben die Türken nicht selten während dieses Turniers bewiesen, dass sie die Mannschaft der letzten Sekunden sind? Niemals aufgeben, bis zum Abpfiff kämpfen, nichts ist verloren? Sie geben nie auf, spielen fanatisch bis zum Ende, zeigen Moral und Kampfeslust. Deswegen sind sie weitergekommen. Hut ab, meine Herren!

Dass Kleinigkeiten unstimmig sind, wie zum Beispiel, dass Vukojević nach dem Tor Kroatiens auf Einwechslung wartete (um, zugegeben, etwas Zeit herauszuschinden) und diese nicht durchgeführt wurde, dass das Tor in der 122. Minute fiel, obwohl offiziell 120+1 angekündigt war, oder dass Bilić zu lange mit der Einwechslung frischer Spieler gewartet hat, wo doch viele Spieler vor Beginn der zweiten Verlängerung aus allen Löchern pfiffen, ist im Nachhinein irrelevant. Auch dass gleich drei Elfmeterschüsse daneben gingen oder gehalten wurden. Das ist schon viel größeren Fußballern in solchen Situationen passiert! Ein Elfmeterschießen gewinnen ist letztendlich doch immer wie ein Lottospiel. Glück für den Gewinner, Pech für den Verlierer.

Was bleibt nun?

Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Enttäuschung im Inneren eines manchen Spielers nun herrschen mag. Für manche war es das Spiel des Lebens, für einige sogar das Abschiedsspiel von großen Turnieren. Niko Kovać werden wir wahrscheinlich nicht mehr bei der nächsten WM sehen. Doch es gibt Potential! Modrić, Rakitić, Srna, Kranjčar, alles noch sehr junge Spieler. Ihre Zeit wird kommen! Es fehlt hier noch etwas die Reife, die Sicherheit, die Erfahrung. Doch wer kann die „Oldies“ ersetzen? Was, wenn es keine Kovaćs mehr gibt, keinen Šimunić? So schlecht sieht es dann doch nicht aus. Ćorluka, Vukojević, Knežević, alles junge und talentierte Spieler. Wichtig ist es jetzt, diese Niederlage aus den Köpfen zu kriegen. Verloren? So what! Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2010 steht an. Es gilt, England und die Ukraine zu schlagen. Wenn das geschafft ist, prophezeie ich eine großartige kroatische Mannschaft für das Halbfinale bei der WM 2010! Nicht zu vergessen, dass dann auch wieder der beste aller kroatischen Stürmer zur Verfügung steht: Eduardo. Hätte er gestern gespielt, der Lattenschuß von Olić, der wäre drin gewesen. Hundertprozentig. Ich schätze, wenn Klasnić und Petrić anstatt von Olić und Kranjčar in der Startelf aufgelaufen wären, stünde es nach 90 Minuten 2:0 für Kroatien und wir hätten uns auf ein großartiges Halbfinale gegen Deutschland freuen können. Aber im Nachhinein ist man ja immer schlauer. So ist der Traum erstmal ausgeträumt. Letztendlich noch ein dickes Dankeschön an die kroatische Mannschaft (inklusive Trainer Bilić), die stellenweise (z.B. im Spiel gegen Deutschland) ihr volles Potential gezeigt und viele Menschen damit sehr glücklich gemacht hat. Hvala vam i samo naprijed Vatreni, pa da se vidimo na SP-u! Besonderen Dank auch an Rüstü, der wahren Sportsgeist zeigte und nach dem gehaltenen Elfer zu jedem der kroatischen Spieler gegangen ist, um Trost zu spenden!

Fazit

Letztendlich ist es doch „nur“ Fußball. Das Leben geht weiter und es wird wieder die Sonne scheinen, denn heute ist Sommeranfang. Ich bin gespannt auf das Halbfinale Deutschland-Türkei und wünsche allen ein faires und spannendes Spiel. Egal wie es ausgeht, eines steht jetzt schon fest: Deutschland wird Kopf stehen. Das ist sicher.

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2 Kommentare

  1. Dem noch kurz hinzuzufügen, dass ich diese Nacht lange lange nicht einschlafen konnte. Die letzten Minuten des Spiels liefen wie in einer Endlosschleife im Kopf ab, zusammen mit der Frage „Warum?“. Krass, sowas hatte ich noch nie… 🙁

  2. „Wer in drei Spielen den Sieg in den letzten Minuten (hier waren es Sekunden) herauskämpft, hat es verdient, weiterzukommen…“

    nein! nix verdient! verdient vllt gegen die tschechen und schweizer, weil sie da schon längere zeit im rückstand lagen und sich da nicht abgeschrieben haben. da sage ich gerne und ehrlich, RESPEKT! aber gegen die kroaten war es einfach eine andere situation! jede mannschaft die bei sinnen ist, wäre in den letzten minuten voll auf pressing gegangen, das ist nix besonderes nur weil es eine mannschaft macht, die in der em als moralisch stark und kämpferisch gilt! ebensowenig kann von einer „rückkehr“ der türkischen mannschaft ins spiel die rede sein, weil sie in dem spiel noch nicht mal DA gewesen ist! am ende die entscheidung von pletikosa den ball nach vorne zu hauen war nicht falsch, vllt allerdings auch nicht komplett richtig. denn nichtsdesto trotz ist es mMn das beste was man in einer solchen situation machen kann, da man (wenn man es besser ausführt) seeehr gerne noch ein tor erzielen und damit das spiel besiegeln kann. angriff ist bekanntlich die beste verteidigung. es war desweiteren auch nich so, dass kein kroate hinten stand und dass sie völlig den kopf verloren haben weil sie „zu lange gejubelt und die konzentration verloren haben“; die standen da schon recht gut und solide da und wussten schon noch, dass das spiel noch 2 minuten ging! aber wie du sagtest: wer konnte schon ahnen… so sachen passieren nunmal. es IST und BLEIBT nunmal einfach pures glück der türken, da ist nix dran zu rütteln!

    mag es stur subjektiv sein, aber von mir gibt es kein a) kein „Respekt!“ und b) kein „Hut ab, meine Herren!“ für die türken. sie haben es nämlich nicht ansatzweise verdient (ins halbfinale einzuziehen). ich lasse den hut ohnehin viel lieber auf und warte bis ich ihn im finale der WM 2010 vor den kroaten ziehen kann! AJMO VATRENI!

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