Im ersten Teil soll es um Jetlag gehen und dessen erfolgreiches Verdrängen. Im zweiten dann, was selbstverschuldete Ereignisse zu erzählenswerten macht.
ROC – CGN
Es ist Freitag, 8am. Einmal noch durch die East Main Street. Vorbei an den verlassenen Gebäuden und verbarrikadierten Geschäftseingängen. „Danger – Asbestos – Cancer and lung disease hazard. Keep out. Authorized personnel only. Respirators and protective clothing are required in this area.“ linksseitig, „Fallout Shelter“ rechtsseitig. Jetzt weiss ich, wo die Doku „28 days later“ gedreht wurde. Wenigstens ein kleiner Lichtblick: nachdem man auf die East Avenue abgebogen ist, kommt gleich in einer Seitenstraße das Java’s, ein nettes Café, wo man zu smooth jazz einen sehr guten Kaffee und die ein oder anderen Cookies, Fudges, Muffins oder Brownies einwerfen kann. „For here or to go?“ Der Leitspruch der Stadt ist „Rochester. Made for living.“ Das verleitet zu einem zwinkernden „since it’s made for leaving, I’ll go with to go“.
Da das Wetter wieder etwas besser ist, mache ich noch einen kurzen Spaziergang am Dinosaur vorbei zur Staustufe. Die High Falls etwas weiter nördlich kenne ich nur vom Hörensagen. Sollen so ähnlich wie die Niagara-Fälle sein, aber allzu viel halte ich von diesem kackbraunen Genesee River nicht. Das Dinosaur riecht wie immer herrlich smoky. Ich erinnere mich an die Bauchschmerzen vor einigen Tagen. Fleisch. Viel Fleisch. Smoked. Chopped. Sliced. Und dazu Stella Artois. Der lokale Rest taugt eher zum Abschmecken. Abschrecken? Irgendwie beides.
Am ROC gibt’s freies WLAN. Whooo! Der Flug ist aber delayed. Die Stadt mag gar nicht loslassen. Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Erwähnenswertes aufzuzählen. Java’s, Dinosaur BBQ, und das Old Toad’s, ein British Pub mit importierter Bedienung. Eine kommt aus Birmingham. Ich glaube, da war ich auch schonmal. Rochester. Made for living. Eine Geisterstadt.
Flug nach Newark. Warten. New York liegt unter einer trüben Dunstglocke begraben. Ein älterer schwarzer Security Agent bemerkt einen deutschen Pass und fragt freudig „Where you from?“ und „Do you know Bingen?“. „Here, me, I know Bingen!“, freudig winke ich ihm zu. „I grew up in Ingelheim“, sage ich. Und er „Yeaah! I know Ingelheim. Bingen. Mainz. Rüdesheim. Great places!“ „Cool, Sir! Nice to meet you.“, antworte ich mit glänzenden Augen und denke mir: if one’s from Rochester, all places must be great places. Dann im Flugzeug. Alle wollen weg, wir haben Startnummer 9. Laut unserer Flugkapitänin kann das also noch 30-40 Minuten dauern. Ich betrachte die aufgereihten Flieger. Wie erwartungsvolle Flugwale strecken sie ihre Stupsnasen nach vorne. Ein paar Delphine sind auch dabei. Zum Glück sind Wolken von wattebauschiger Konsistenz.
Flug nach Köln. Hinter mir eine Mutter und drei kleine Kinder. Ich finde das sehr mutig. Ich mag kleine Kinder sehr. Irgendwann packe ich aber meine Alpines aus, lila Filter raus, gelbe Filter rein. Die Konzertgänger unter uns wissen, was ich meine. Ich glaube, ich habe sogar ein paar Stunden schlafen können. Im Rausch des Fluges weiss man nie so richtig, ob man jetzt schläft und von rauschenden Wasserfällen träumt oder bloß meint zu schlafen und von rauschenden Wasserfällen zu träumen. Wir lassen die Sonne hinter uns. Alles wird gelb-orange-lila, leuchtende Wolkenteppiche pflastern die Steppen der Erde unter uns. Es wird dunkel.
Ein orange-blauer Horizont erwacht langsam vor uns. Es wird heller. Es ist Samstag, 2am. Zeitzone anpassen. Die sechs geschenkten Stunden werden einem wieder entrissen. Doch schon 8 Uhr morgens. Während Rochester seine Einsamkeit zu Ende schlummert, pulsiert in Köln schon das Leben. Im Zug nach Aachen sind Amerikaner hinter mir. Aus Kansas City. Das ist mitten in der Pampa. Wahrscheinlich ein weiteres Rochester. Um 12 bin ich dann endlich wieder zu Hause. Eine bleierne Müdigkeit macht sich breit. Koffer auspacken, das Chaos etwas ordnen. Irgendwann sitze ich auf der Couch. Nur kurz ausruhen.
Das Telefon reißt meine Augenlider wieder nach oben. Christian ruft von der Arbeit an und möchte in die Pontstraße gehen. Besser als zu Hause gegen die Müdgikeit zu kämpfen. Das Wetter ist fantastisch. Christian hat sein Bürofenster offen und will gleich wieder zur Arbeit. Temperaturen wie im Sommer. Ich mobilisiere noch schnell Thomas und ab geht’s in den Pontgarten, was essen. Ich habe gar keinen Hunger und starte mit einer Apfelschorle. Das Wetter ist wirklich der Hammer. Wir landen in der Molkerei, wo wir uns in den nächsten Stunden festtrinken. Schönes Wetter und schöne Aussichten, jede Menge lustiger Gesprächsstoff, dann ist plötzlich happy hour. Es bildet sich eine Mojito-Fraktion, die wirklichen Gefallen am Tag findet. Noch mehr Gefallen findet sie auch am Abend. Bis zu dem Zeitpunkt, wo wir bemerken, dass unser Geld alle ist und mein Jetlag den Holzhammer auspackt. Ich ziehe die Notbremse. Das mit der Arbeit hat sich für Christian vorerst erledigt. Schlaftrunken radeln wir unseren Bettchen entgegen. Nur das Bürofenster bewegt sich lautlos im nächtlichen Wind. Es ist Samstag, 23:09 Uhr.
Eine Sonntagsgeschichte (Teaser)
Verwirrt durch die ganze Zeitzonenumstellungssache wache ich putzmunter um 4 Uhr morgens auf. Zu früh um aufzustehen, schaue ich mir einen Film an. Um sechs bin ich wieder so müde, dass ich tief und fest in die Welt der Träume gleite. Bis ich von einem Schwarm Hummeln attackiert werde. brrrrrz brrrrrz brrrrrz Mein Wecker? brrrrrz brrrrrz Ich habe doch gar keinen Wecker gestellt?! brrrrrz brrrrrz Und so gräßlich klingt mein Wecker gar nicht. brrrrrz brrrrrz Ist das meine Klingel? brrrrrz brrrrrz So klingt nur meine gräßliche Klingel! brrrrrz brrrrrz
Ich torkele zur Gegensprechanlage und bringe nur ein unverständliches „mwjhra?“ hervor. „Hi, hier ist Christian. Mach auf. Es ist wichtig.“ Ich drücke auf den Türöffner. Christian kommt die Treppe hinaufgeeilt. Es ist Sonntag, kurz vor zehn Uhr.
Fortsetzung folgt
Hej!
Das am Sonntag morgen? Mir schwant schlimmes… Mein Bruder pflegte Sonntags morgens, wenn ich am Samstag länger weg war, als erstes zu sagen: „Du kriegst Ärger“. Das war auch immer sehr nett X-)