Empathie, die keine sein sollte?

Gestern war mein Lieblingsquengelclub wieder zu Besuch. Wegen Fastenzeit fiel aber das „Chipse, Chipse!“ aus, hab ich glatt vergessen, obwohl ich noch welche im Hause hatte. Sorry, Jungs. Aber Pizza wurde bestellt (naja, auch nicht gerade besser) und während es sich Reibach und Gollanski auf der Couch gemütlich machten und wir auf die Lieferung warteten, zeigte ich den beiden „Left 4 Dead„, brandaktuell und passend zur allgemeinen Diskussion um Winnenden, Amoklauf und den sonst noch alltäglich anfallenden Wahnsinn. Dieses (grandiose, wie ich finde) Spiel wird wahrscheinlich (insbesondere) vom älteren Bevölkerungsdurchschnitt als Killerspiel, als Konditionierungssoftware für potentielle Amokläufer, als gewaltverherrlichender Indexkandidat abgestempelt. Dabei geht es dort, wie im richtigen Leben, nur ums Überleben.

Das ganze ist nämlich nichts anderes als eine Metapher des Alltags. Wo im Spiel Zoey verzweifelt mit zwei Pistolen gegen Zombiehorden ankämpft, würde sie im wirklichen Leben gestresst mit den Kids im Schlepptau freitags noch schnell Einkäufe für das Wochenende erledigen, den Kopf noch halb zu mit den Problemen des wegen der weltweiten Krise unsicher gewordenen Arbeitsplatzes und die Arzttermine in der kommenden Woche durchgehend und hoffend, dass das Leben mit Hartz IV, wenn es denn mal soweit kommen sollte, überhaupt noch irgendwie zu schaffen ist. Der alltägliche Kampf ums Überleben in einer Gesellschaft also, die Versager verhöhnt („die kriegt doch jetzt Hartz IV“) und Profiteure beneidet („der hat doch wieder so nen Bonus bekommen, obwohl er seine Firma ruiniert hat“).

Im Gegensatz zum richtigen Leben, wo der Mensch zum einen Teil egoistisch und zum anderen Teil egozentrisch ist, kommt nun dieses „Left 4 Dead“ auf den Markt, welches man nur in der Gruppe lösen kann. Vier Charaktere, jeder kämpft um sein Überleben, aber alleine kann man es nicht schaffen. Zu oft wird man vom Smoker erwischt, von Huntern auf den Boden genagelt, von Boomern blindgespeit. Hier hilft die Gruppe als eingeschworene Gemeinschaft: man wird aufgerichtet, es werden Pillen gereicht, die einen bis zum nächsten Safehouse aufpeppeln, man wird mit einer Selbstlosigkeit verarztet, die seinesgleichen sucht. Altruismus in Perfektion! Und obwohl es nur ein Computerspiel ist, hat man sehr schnell eine starke Empathie zur Gruppe aufgebaut, die ich so vorher noch nicht erlebt habe. Man hechtet seinen Kumpanen hinterher, wenn diese in Schwierigkeiten stecken und läuft sogar in sein Verderben, wenn man humpelnde Angeschlagene auf den letzten Metern zu beschützen versucht, weil sie wieder einmal kurz vor dem rettenden Hubschrauber vom hustenden Smoker in eine Häuserschlucht gezogen wurden. Ein Killerspiel, welches auf eine obstruse Art und Weise gesellschaftliche Grundwerte vermittelt: helft einander und es lebt sich leichter, opfert euch auch mal, denn dann wird man sich auch für euch opfern.

Und in diese aufopfernde Welt kommt nun Amokläufer Gollanski, der, weil er das ganze zum ersten Mal sieht und diese fast innige Bindung zu Zoey, Bill, Louis und Francis nicht aufgebaut hat, nach 10 Minuten des Vorführens nur kühl meint: „Kann man die auch abschießen?“ „Ja, natürlich, da muss man schon aufpassen.“ „Mach mal!“ „Nein, will ich nicht, das sind doch Kumpels, die helfen dir aus der Patsche.“ „Gib her!“ Sprach’s, schnappt sich die Maus und pumpt Zoey und Bill erstmal mit der Autoshotgun voll. Am Boden liegend, rufen diese nur verbittert „Francis!“ und „Stop shooting me!“ und „Help me up!“. Ich wollte gar nicht mehr hinschauen. Als auch noch Louis am Boden liegt und unser Amok-Francis alleine um die Ecke biegt, stoppt ihn dann die nächste Zombiewelle mit Leichtigkeit. Amok-Francis hat sich durch seine Handlung letztendlich selbst gerichtet.

Dann kam die Pizza, wir haben das bildgewaltige The Fall geschaut und Reibach ist eingeschlafen, weil es nicht so spannend war, wie das mit den Zombies.

Und heute morgen kam mir dann die Erkenntnis: diese „Gollanski-Francises“ sind die wahren Amokläufer unserer Gesellschaft. Sie wollen Grenzen austesten. Wollen sehen, was passiert, wenn man etwas außerhalb der Norm macht. Sind impulsiv und steigern sich in einen Rausch. Verstehen den Kontext nicht, in dem etwas passiert. Handeln ohne vorauszuschauen, ignorieren Konsequenzen.

Kann man also solches Verhalten voraussagen?

Nein, kann man nicht.

Kann man es verhindern?

Nein, auch nicht.

Was kann man also tun?

Nichts, man kann nur hoffen, dass es einen nicht selbst erwischt, wenn man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist. Dann doch lieber zu Hause sitzen und Killerspiele spielen. Da ist man wenigstens sicher.

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