US Consulate General Frankfurt

„Das war früher mal so, mittlerweile muss jeder zum Interview. Sie wissen ja, 11. September und so.“ … „NRW? Dann müssen Sie nach Frankfurt.“ Nun gut. Ich muss also nach Frankfurt, zum Visa Application Interview. Es ist unerheblich, dass ich schonmal dort (also USA) war. Damals. 1999. Ein Jahr an der UGA, ist schon lange her. Aber meine amerikanischen Freunde nehmen es mit der Sicherheit jetzt sehr ernst. Da könnte ja jeder Terrorist daherkommen und einfach ein Visum beantragen! So geht das nicht: alle müssen vorsprechen, da wird direkt im Gespräch von Mann zu Mann oder Frau zu Mann oder wie auch immer gefiltert. Du nicht, du vielleicht, du… Dich kenn‘ ich doch! Du bestimmt nicht. Dein Bart sieht zu verdächtig aus. Waren zumindest meine ersten Gedanken.

Do you have any specialized skills or training, including firearms, explosives, nuclear, biological, or chemical experience?

 [ ] Yes
 [ ] No

If YES, please explain

Zum Glück muss ich nicht YES ankreuzen.

Halb neun, früher Termin. Um nicht den weiten Weg aus Aachen antreten zu müssen und dann übermüdet in die aufgeweckten Augen des US-Konsularbeamten zu blicken, reise ich schon am Vorabend zu meinen Eltern. Von dort sind’s dann nur noch 50km bis nach Frankfurt. Also morgens zum Bahnhof, halb sieben, es nieselt leicht. Frankfurter Berufsverkehr muss nicht sein. Mein Auto steht auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz. Maximale Parkdauer: 2 Stunden. Zu zahlen von 8:30 bis 19:00 Uhr. Der Automat ist aus. Also Zettel hinter die Windschutzscheibe: „Wollte ja zahlen, aber ihr Automat ist aus. Bin rechtzeitig wieder zurück. MfG“ Mal sehen, was passiert.

Der Zug ist überfüllt. Erinnert mich, wie schrecklich Pendeln sein muss. Die meisten träumen ihren nächtlichen Traum zu Ende. Meine SZ von gestern ist zu groß. Ich lese nur die ersten Seiten der einzelnen Sparten. Paris brennt noch immer, die Anfangseuphorie der großen Koalition ist schon fast erlöscht. So richtig viel Neues ist nicht dabei. Die Uhr meines Bruders drückt am Handgelenk. Ich musste mein Handy zu Hause lassen. Auch Rucksack ist nicht erlaubt. Keine technischen Geräte. Waffen soll man gleich im Auto oder bei Freunden lassen, die draußen warten. Ich schmunzele beim Lesen dieser Zeilen. Sie reflektieren den kulturellen Unterschied zwischen „jenen da drüben“ und „uns alten Europäern“. Hier hat nunmal nicht jeder schon mit 12 seine erste Schrotflinte. Die Dokumente sind in einer Klarsichthülle mitzubringen. Mal schauen, ob ich die Zeitung mit reinnehmen darf.

U-Bahn. Kreuzung. Zwei ausländische Taxifahrer auf einem Parkplatz. Vis-à-vis, im Auto, die Fahrerseiten jeweils gegenüberliegend ausgerichtet, so dass man sich am Steuer sitzend mit heruntergelassener Scheibe unterhalten kann. „Morgen, die Herren! Amerikanische Botschaft, rechts oder links lang?“ frage ich. „Da vorne auf der linken Seite.“ Geste nach rechts. Ahso. „Also hier rechts, dann aber links.“ „Danke.“ Zum Glück regnet es nicht. Gießener Straße, neues Konsulat. Umzug vor kurzem. Kosten: 80 Millionen Dollar. Wieviel davon vom deutschen Steuerzahler bezuschusst wurde? Keine Ahnung. Wahrscheinlich aber nicht unerheblich wenig.

Lauter grüne Fahrzeuge, lauter grün gekleidete Menschen. Dein Freund und Helfer, so präsent wie eh und je. Maschinengewehr im Anschlag. Ich dachte, die Amis können sich selbst schützen. Ich glaube, hier bin ich richtig. „Haben Sie sich schon angemeldet?“ „Ja, über ihre tolle Hotline für 2 EUR/Minute.“ „Nein, ich meine hier, Sie müssen ein Ticket bekommen.“ Der Security-Typ mit seltsam non-amerikanischem Akzent zeigt auf ein Seitenfenster, links vom Haupteingang. „Ah ja.“ Stehe also in der Schlange. Amerikaner werden vorgelassen, soso. Gut, ist eine Frau mit Kindern und Kinderwagen, das lasse ich mal gelten. Trotzdem: der schale Geschmack der Zweitklassigkeit verfestigt sich. „Ihren Pass und Ihre Zahlungsbestätigung bitte.“ 85 Euro, non-refundable. Ich bin Nummer T085.

Ich stehe vor der Eingangstür, drinnen ist reges Treiben zu erkennen. Security. Szenario wie am Flughafen. Ich bin verunsichert. Ist die Tür auf? Ich probiere mal zu ziehen. Geht nicht. Also warte ich lieber. Mich trifft schon ein etwas kritischer Blick von innen. Schon gut, ich habe verstanden. Nur auf Geheiss! Ey ey, Sir! „Next two, please!“, plärrt es durch einen Lautsprecher nach draußen. Endlich, man spricht amerikanisch. Ein Buzzer summt, ich ziehe an der Tür. Meine Güte, ist die schwer. Mindestens zehn Zentimeter dick, ist bestimmt Panzerglas. Drinnen erstmal alle Taschen leeren, Jacke ausziehen. „Do you have a belt, Sir?“ „No.“ Ich ziehe mein Hemd hoch. Schau mal. Kein Gürtel. Ich bin ganz friedlich. Ich gehe durch den Scanner. Kein Piepen. Beim Versuch, meine Sachen einzusammeln, die mittlerweile durch das Röntgending gefahren sind, werde ich von der Dame angewiesen: „Sir, don’t touch it!“ „Sorry.“ Herrje, was ist denn? Sie stöbert mit ihren weissen Baumwollhandschuhen durch meine Sachen. Greift sich meinen Autoschlüssel. Zeigt ihn mir. „When you leave, don’t forget to pick this up.“ Sie gibt mir ein Plastik-Kärtchen mit der Nummer 31. Meine Zeitung darf ich mitnehmen. Falls es langweilig wird.

Ich verlasse das Eingangsgebäude. Ein gepflasterter Weg zum nächsten Gebäude. Rechts Security. „Over there!“ mit Wink ans Ende des Weges. Ich betrete Building D. Ein kurzer Flur, dann schon der große Wartesaal. „Maximum capacity: 299“ hängt da an der gegenüberliegenden Wand. Abgesperrte Sitzmöglichkeiten. Wie am Flughafen. „U zwei drei eins. Bitte gehen Sie zu Schalter elf.“ tönt es aus Lautsprechern. Einige Anzeigen hängen an den Wänden, mit den letzten fünf Aufrufen. Ich nehme Platz. „T null sechs eins. Bitte gehen Sie zu Schalter dreiundzwanzig.“ Das ganze ist größer als ich mir vorgestellt hatte. Hinter den besetzten Schaltern sitzen Frauen und Männer hinter dickem Panzerglas. Reges Treiben. Die Leute blicken wie gebannt auf die Anzeigetafeln. Einige nicken kurz ein, um dann wieder hochzuschrecken. Kurzer Blick aufs Ticket, kurzer Blick nach oben. Alles klar. Viele übermüdete Gesichter. Ich lese weiter meine Zeitung.

Irgendwann dann: „T null acht fünf. Bitte gehen Sie zu Schalter zehn.“ Ein wenig Adrenalin wird dann doch freigegeben. Das ist spannend, so was. Wie in einem Hitchcock-Film. Ich begrüße den asiatisch ausschauenden Mann hinter der Scheibe. „Good morning!“ Er ist klein, hager, hat einen gelangweilten Blick und wirkt etwas lustlos. Ich reiche ihm meine Klarsichthülle mit allen Unterlagen durch die Dokumentenschleuse. Er verzieht das Gesicht. „Sir! We don’t want your plastic…“ Gut gut, das ging schonmal schief. Gibt direkt Punktabzug. Sein Gesicht verfinstert sich etwas. Ich ziehe meine Sachen zurück, hole die Blätter und meinen Pass aus der Hülle und reiche ihm alles. Mein Ticket (T085) ragt aus meinem Pass heraus. Er zieht daran und schnippt es locker zurück. „Sir! We don’t need your ticket. Only the documents.“ Reumütig blicke ich nach unten. Er klappt den Pass auf. „Mr. … Hasan!?“ Eine Augenbraue geht nach oben. „Funny name, isn’t it?“, erwidere ich. Mein etwas erzwungenes Lächeln wirkt dann doch deplaziert. Er nimmt nur das Antragsformular und reicht mir meine zusätzlichen Schreiben zurück. Die Büroklammer, die die einzelnen Blätter zusammenhält, wird demonstrativ abgemacht und mit Schwung in die Tonne zu seinen Füßen befördert. „Sir! We don’t need your paper clips.“, denke ich mir. Er tackert das ganze zusammen. Dann tippt er mit einem anmutig wirkenden Zweifingersystem einige Sachen in sein Keyboard. Der Rest wird direkt aus Pass und Antragsformular gescannt, das Antragsfoto wird abfotografiert. Danach kritzelt er einige Vermerke auf den Antrag und gibt mir alles zurück. „Please take a seat. Your number will be called again.“ „Thanks.“ Ich gehe zurück an meinen Platz.

Auf meinem Weg zurück treffe ich einen jungen Mann, der schon vor mir draußen in der Schlange stand. Er grinst mich an, ich setze mich neben ihn. Wir kommen ins Gespräch. Er müsse ein Visum beantragen, weil er in USA ein Gutachten für eine amerikanische Firma machen soll und das wohl nicht über das übliche Visa Waiver Program gehe. Die Firma verlange ein Visum. F1 oder J1 habe er schonmal vor vier Monaten beantragt. Das hätte aber nicht geklappt. „Zu unflexibel, die amerikanischen Behörden.“ Jetzt soll es mit dem zweiten Anlauf gehen. Mit ungedämpfter Stimme lästern wir über die ganze Situation. Lassen unseren Unmut über das ganze Gebaren und Drumherum aus. Mit etwas Unbehagen registriere ich die Überwachungskameras. „Hoffentlich haben die da keine Richtmikrophone“, sage ich zu ihm. „Sonst war’s das mit dem Visum.“ Wir sprechen über Studium, Politik, USA, wie man der Armut und Ungerechtigkeit auf der Welt entgegenwirken könnte. Unsere Meinungen driften auseinander. Er sei in der Jungen Union. Dachte ich mir schon. Er denke aber daran auszutreten, so enttäuscht sei er über die große Koalition. Dachte ich mir auch schon. Irgendwann mischt sich eine Frau, die links neben mir sitzt, ein. „Entschuldigung! Ich nicke ständig ein, können Sie auf meine Nummer achten und mich dann wecken? T105. Das wäre sehr lieb, danke.“ Können wir machen, solange wir hier sind. Irgendwann ist T084, pardon: Andreas, an der Reihe. Zweite Iteration. Er geht zu einem der Schalter. Recht schnell kommt er zurück. Er sei jetzt fertig. Wir verabschieden uns kurz und wünschen uns Glück.

Kurz darauf bin ich auch dran. Der Herr hinter der Scheibe ist viel netter. Mit starkem amerikanischen Akzent fragt er mich auf deutsch ein paar Fragen. Ich verstehe ihn schlecht durch die Scheibe. „Can we do it in English, please?“ frage ich ihn. „No problem.“ Was ich denn mache, wo ich hinwill, wer mitkommt. Ich erkläre ihm alles. Business stuff, Projektmeetings, keine Ahnung wer mitkommt, steht noch nicht fest. Ich soll meinen linken Zeigefinger auf den Scanner legen. Mache ich doch glatt. Dann rechts. Ich bin jetzt total erfasst. Ob er denn meine ganzen Zusatzschreiben nicht bräuchte, frage ich ihn. Ich hatte mir extra ein Schreiben aus USA zukommen lassen, von unseren Projektpartnern, damit das mit dem Visum auch keine Probleme gibt. Nö, brauche er alles nicht, er habe genug Informationen. Ich bin etwas verdutzt. Könnte ja jeder kommen und sowas behaupten. Und dann ist es schon vorbei. Mein Pass werde mir demnächst zugeschickt. „Bye bye.“

Auf dem Weg nach draußen nickt mir der Zwei-Meter-Security-Herkules nochmal anerkennend zu. Ich bin jetzt fast einer von ihnen, weil ich die ganzen Strapazen auf mich genommen habe, nur um in ihr fantastisches Land einreisen zu dürfen. Ich nicke zurück. Seine dicken Nackenmuskeln kommen bestimmt vom permanenten Zunicken. Steht sicherlich in seinem Vertrag: „Make your clients feel accepted by nodding as a mark of recognition“ oder so. Im Eingangshäuschen muss ich warten, bis mir die Frau meinen Schlüssel zurückgibt. Sie ist gerade mit einer anderen Dame beschäftigt, die entgegen den Regelungen ihr Handy mitgebracht hat. „You have to turn it off and leave it here.“ Sie wisse aber nicht, wie man das Handy ausmacht. „Das hab ich doch erst ganz neu.“ Nach mehreren Versuchen, dass Ding auszubekommen, entscheidet man sich für die Holzhammermethode. Akku raus, fertig. Ich bekomme auch meinen Schlüssel zurück. „Have a nice day.“ „You too, ma’am.“

Ich bin wieder in Deutschland angekommen. Zwei Polizisten mustern mich beim Verlassen des Geländes. Wie im Hitchcock-Film. Ganz schön spannend, so ein Konsulat zu bewachen. Ich gehe zurück zur U-Bahn-Station. Dann S-Bahn nach Mainz. Mit dem Zug weiter. Bin mal gespannt, wieviel mein Strafzettel kostet. Es ist nämlich schon halb eins vorbei. Hatte dann doch alles länger gedauert als geplant. Mein Auto steht noch. Kein Strafzettel. Es regnet nicht, die Sonne kommt sogar ein wenig hervor. Happy End, sozusagen. Jetzt heisst’s abwarten und Tee trinken.

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